Heimatgeschichte

Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Die Poltringer Heimatbücher“

Die drei Heimatbücher von 1971, 1991 und 2020, Bild: B. Dieter, April 2020

Zu Poltringen gibt es bisher drei Heimatbücher. Diese sind alle im letzten halben Jahrhundert entstanden. Aus den Jahrhunderten davor gab es so etwas mangels Schriftkundigkeit, Kosten und da Geschichte eher mündlich weitergegeben wurde nicht. Eine gewisse Ausnahme stellt die jährliche Pfarrchronik dar, allerdings mit meist kurzer, unstrukturierter Dokumentation oft nur kirchlicher Ereignisse.

Das älteste Heimatbuch entstand 1971 zur 780 Jahr Feier der urkundlichen Ersterwähnung von Poltringen unter dem Titel „Heimatbuch der Gemeinde Poltringen – 1191-1971“. Es wurde von Florian Bizenberger, dem ehemaligen hiesigen Oberlehrer, verfasst und umfasst 160 Seiten und fast 50 Bilder in den Maßen 15 mal 21 cm. Es ist die erste strukturierte Schilderung der Gemeindegeschichte, eine exzellente Wissensbasis und beeindruckende Dokumentation. Es hatte in der Druckerei Ludwig Gsell eine Auflage von 2000 Stück zum Preis von damals 12 DM (ca. 6 EUR) und ist immer noch in einem kleinen Restbestand bei Herr Ortsvorsteher Reinhold Hess für 5 EUR erhältlich.

Das nächste Heimatbuch entstand zwanzig Jahre später 1991 zur 800 Jahr Feier der urkundlichen Ersterwähnung von Poltringen unter dem Titel „800 Jahre Poltringen – 1191-1991“. Es wurde von Meinrad Schmid als damaligem Ortsvorsteher herausgegeben und umfasst 112 Seiten und fast 90 Bilder in den Maßen 15 mal 21 cm. Es hat seinen Schwerpunkt auf der Entwicklung seit 1971, den örtlichen Einrichtungen und Vereinen. Es hatte in der Druckerei Claus Becht, Ammerdruck, eine Auflage von 500 Stück, ist seit 2006 vergriffen und daher leider nur noch antiquarisch erhältlich. Der damalige Preis lag bei 10 DM (ca. 5 EUR).

Das jüngste Heimatbuch entstand weitere dreißig Jahre später 2020 zum 50jährigen Gründungsjubiläum des Heimat- und Wandervereins Ammerbuch e.V. (HWV) unter dem Titel „Ein Dorf in 50 Geschichten – Funde aus der Poltringer Ortshistorie“. Es wurde von Boris Dieter, dem Co-Leiter der HWV Arbeitsgemeinschaft „Poltringer Ortsgeschichte“, verfasst und umfasst großformatig 90 Seiten und über 70 Bilder und Karten in den Maßen 21,5 mal 28,5 cm. Dieses Heimatbuch ist eine chronologisch geordnete Zusammenstellung von um die 50 Geschichten und Sagen aus der Poltringer Heimatgeschichte. Es hatte im NeckarAlb-Verlag eine Auflage von 500 Stück und ist beim Ortsvorsteher, dem HWV, dem Autor oder bei Papier Kittel für 20 EUR erhältlich.

Wer hierzu vertiefende Informationen beitragen kann oder andere Geschichten als „Fundstücke“ beitragen möchte, kann sich gerne bei unserer AG melden (heimatgeschichte ät hwv-ammerbuch punkt de).

Für die AG „Poltringer Ortsgeschichte“, Boris Dieter

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Ein Poltringer Pfarrer wird fast württembergischer Bischof beziehungsweise badischer Erzbischof“

Poltringen hatte mit Heinrich von Brentano von 1795-97 einen Pfarrer mit einer sehr interessanten Lebensgeschichte. Dr. Franz Ernst Heinrich von Brentano aus dem Hause (a.d.H.) Gnosso, wie er vollständig hieß, lebte von 1768-1831. Er stammte aus einer adeligen lombardischen Familie, die 1282 erstmals urkundlich erwähnt wird und aus mehreren Zweigen besteht. Sein Vater selbst ist Berufsoffizier, der im Jahr 1774 im Kampf um Gibraltar bei Cadiz in spanischen Diensten fällt. Er ist mit der Rottenburgerin Katharina Gerber verheiratet, in deren Heimat Heinrich von Brentano auch auf die Welt kommt.

Siegel des Heinrich v. Brentano a.d. H. Gnosso

Durch den frühen Tod seines Vaters wird er bei seinem Onkel in Kempten aufgezogen und studiert dann an den Universitäten Dillingen, Freiburg, Salzburg und Wien. Danach folgten Pfarrstellen in Gebratshofen, Poltringen, Hirrlingen und Kirchen bei Ehingen an der Donau.

In Poltringen berichtet die Pfarrchronik neben seiner ebenfalls aktiven Seelsorgetätigkeit über seine Tätigkeit in Schulangelegenheiten:

„Die Schule in Poltringen war in dem elendesten Zustande. Selten wurde sie gehalten, und wenn sie auch gehalten wurde, so war sie schlecht; denn der bisherige Lehrer und Mesner Johann Joseph Kittel war zu alt; er stand bereits im zweiundsiebzigsten Lebensjahr. Pfarrer Brentano hielt um einen andern Schulmeister an und bat den Freiherrn von Raßler (Vormund des minderjährigen Freiherrn von Ulm), er möchte dem alten Lehrer statt einer Entschädigung den eben vakant gewordenen Kirchenpflegedienst und dem Ignaz Friz den Schuldienst verleihen. Am 11. November 1795 wurde Mesner Johann Joseph Kittel zum Heiligenpfleger und Ignaz Friz zum Lehrer mit Espektanz auf den Mesnerdienst ernannt. Am 18. November wurde die Winterschule feierlich eröffnet. Die Kinder mußten zuerst alle paarweise mit dem Lehrer in der Kirche erscheinen. Nach der heiligen Messe wurde sodann die seit zwei Jahren unterbrochene Sonntagsschule wieder eröffnet.“

Da er auch promovierte, einige Bücher publizierte und sich einen Namen als Religionspädagoge machte, wird er 1805/06 als erster nachreformatorischer katholischer Stuttgarter Stadt- und Militärpfarrer (seit 1534) für die damals nur rund 140 Katholiken am Hofe und in der Stadt auserwählt und Mitglied des Katholischen Kirchenrates. Seine Pfarrei, deren Kirche dem Hl. Eberhard von Salzburg geweiht ist, wurde zur Haupt- und Mutterpfarrei der Katholischen Kirche in Stuttgart. Erst ab 1806 war es in Württemberg seit fast 300 Jahren ja wieder möglich, dass Katholiken am Hofe und in der Stadt ihre Gottesdienste öffentlich feiern und eine eigene Pfarrei einrichten durften.

Aus wohl politischen Gründen und gegen den Willen Roms wurde er dann aber auf Weisung des Königs schon 1808 als Stadtpfarrer nach Radolfzell versetzt und der dortige Stadtpfarrer Johann Baptist von Keller auf seine Stelle nach Stuttgart berufen, von wo er dann 1828 zum ersten Bischof in Rottenburg ernannt wurde. Diese Willkürentscheidung des Königs beruhte wohl auf der Entscheidung Brentanos den Ehescheidungsprozess der Kronprinzessin Karolina Augusta von Bayern, der späteren Kaiserin von Österreich, in Rom anhängig zu machen. Sie war mit dem württembergischen Kronprinzen verheiratet worden, um ihm eine Heirat mit einer ihm von Napoleon ausgesuchten Partie zu ersparen. Die Ehe wurde daher auch nie vollzogen. Heinrich von Brentano verblieb in Radolfszell als Pfarrer bis 1816 und wurde dann bis 1828 Pfarrer in Löffingen auf der Baar.

1823 will ihn Papst Leo XII. dann sogar zum ersten Erzbischof des Erzbistums Freiburg berufen, was jedoch hier am Widerstand des badischen Großherzogs scheitert. Nach Löffingen ist er noch zwei Jahre Pfarrer in Kleinlaufenburg und geht dann 1830 aus gesundheitlichen Gründen in Freiburg in den Ruhestand, wo er schon 1831 stirbt.

Der Freiburger Theologe und Historiker Karl Rögele hat seine Persönlichkeit folgendermaßen beschrieben:

„Von adeliger Abkunft und vornehmer Erziehung war Heinrich v. Brentano mehr Aristokrat als Volksmann, mehr Beamter im Sinne des josephinischen Staatskirchentums als Seelsorger, mehr Pädagoge als Theologe. Er war ein Mann von hervorragender Begabung, vielseitiger wissenschaftlicher Bildung, unermüdlicher Tätigkeit und tadellosem Lebenswandel. Durch sein leidenschaftliches Temperament machte er sich alle zu Gegnern. Die Hochachtung versagte ihm aber niemand.“

Quelle: „Der Johanniterorden in Baden-Württemberg“ Nr. 128, Dezember 2013, S. 40-42, Artikel von Diethelm Lütze, Stuttgart und „Zeitschrift des Kirchengeschichtlichen Vereins für Geschichte, Christliche Kunst, Altertums- und Literaturkunde des Erzbistums Freiburg“, Band 42 (1914), Artikel Karl Rögele, S. 189-296

Für die AG „Poltringer Ortsgeschichte“, Boris Dieter

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Poltringer Malefizpersonen“

Aus dem Jahre 1578 gibt es ein interessantes Schreiben des Poltringer Versehers (= Pfleger und/oder Verwalter, ggf. Ortsvorsteher) und des Oberndorfer Schultheiß. Beide Gemeinden gehörten ja damals noch kirchlich und herrschaftlich zusammen. In dem Schreiben geht es um Folgendes:

Hans Hartmann, Schultheiß zu Oberndorf, und Mathias Weiß, Verseher zu Poltringen, schreiben an Graf Philipp II. von Eberstein, dem damaligen Ortsherrn von seiner Belehnung 1576 bis zu seinem Tod 1589, ob „malifizierten“ Personen in der Grafschaft oder auf Burg Eberstein (bei Gernsbach im Schwarzwald) verurteilt und in Haft gesetzt werden könnten, da vor Ort kein Gefängnis und kein Hochgericht vorhanden sind. Malefizpersonen oder „malifizierte“ Personen (von lat. malefacere: „Böses zufügen“) ist eine alte Bezeichnung für „Straftäter“.

Schreiben der Oberndorfer und Poltringer Gemeindevertreter an den Grafen von Eberstein vom 16.07.1578, Staatsarchiv Wertheim

Übertragung nur des Brieftextes (durch Reinhold Bauer, Entringen):

„Wohlgeborner gnädiger und gebietender Herr, E.(uer) G.(naden)
seien unser untertänig und gehorsamer willig Dienst,
jederzeit zuvor und bereit, gnädiger Herr, nach
dem sich vor kurz verschiener (= vergangener) Zeit, Irrung und zweifaltige
Sachen zugetragen, als das in diesen zweien Flecken
malefizige Personen in Argwohn, und darüber
dies Tag die Junkern und mit Vogtherren alhie
gewest, und uns befolgen (angewiesen?), wir sollten Euer Gnaden
zuschreiben, wann wir solche Personen gefänglich
einziehen wollten, dieweil allhier kein Gefänghaus
noch Hochgericht vorhanden, und damit das Übel bestraft
werden möchte und auch damit wir ohne Befehl uns
der Sachen nicht zuviel annehmen, ob E. G. dieselbigen
malefizigen Personen, oder ob sich dergleich Sachen
fürohin weiters zutragen würden, auf Eberstein
gefänglich einlegen und strafen lassen wollten,
oder wie man sich damit verhalten solle, bitten
E. G. derwegen ganz untertänig, die wolle uns
schriftlich Bescheid darum gnädig zukommen lassen
wie wir mit solchen Fällen uns halten sollen,
dann woll etwas daran gelegen, hiermit E. G.
Gott dem Allmächtigen in seinen Schutz und uns zu
deren Gnaden, untertänig Befehl, Datum
den 16. Juli anno 78
E. G.
untertänige und gehorsame
Hans Hartmann, Schultheiß zu Oberndorf
Mathias Weiß, derzeit Verseher zu Boltringen“

Anscheinend hatte man Personen vor Ort, welche schwere Straftaten begangen hatten, aber weder Möglichkeit diese zu verurteilen, (länger) einzusperren, noch die erforderliche (Todes-) Strafe zu vollstrecken. Wie der Vorgang ausging oder um welche Taten es ging, ist leider nicht überliefert. Allerdings ist auf Karten aus dem 17. und 18. Jahrhundert in der Nähe des Harthäusles (dann?) ein „Poltringer Hochgericht“ verzeichnet und im alten Poltringer Rathaus gab es zumindestens dann im 17. Jahrhundert ein Gefängnis.

Quelle: G-Rep. 102 Nr. 7368 Akten der Gräflichen Familie Eberstein, Provenienz Kanzlei Eberstein, Staatsarchiv Wertheim

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Für die AG „Poltringer Ortsgeschichte“, Boris Dieter

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Rottenburger Stadtarzt Johann Wittel“

Mindestens im Jahre 1631 war der aus Poltringen stammende Dr. med. Johann Wittel Stadtarzt von Rottenburg. Er hatte in Freiburg seit 1608 Medizin studiert. Von ihm weiß man vor allem deswegen, da er einige Bücher in seinem Besitz hatte, die bis heute überdauert haben und in denen er durch eine Inschrift als Besitzer des Buches ausgewiesen ist.

Bei den Büchern handelt es sich um wertvolle, meist theologische Inkunabeln, d.h. Bücher, die vor 1501 gedruckt wurden. Buchdruck gab es damals ja überhaupt erst seit ca. 1450. In diesen Büchern ist er folgendermaßen unterschiedlich neben meist anderen früheren oder späteren Besitzern vermerkt: „Ex libris Joan: Wittell Boltring: m. Doct:“, „Ex libris Joan: Wittelij Boltringensis M. Doct:“, „Ex libris Joan Wittelij Boltring: med: Doct:“, „Ex libris Joan: Wittelij Boltringensis med: Doctoris“ oder „Ex libris Joan: Wittelij Baltring. med. Doct.“.

Von ihm gibt es zudem in der Wurmlinger Kapelle ein im Zusammenhang mit einer jährlichen Weinspende 1631 gestiftetes Bild: „Schmerzensmann“. Es hängt an der Nordwand der Kapelle im hinteren Bereich unter der Empore auf Augenhöhe.

Ein weiterer Hinweis auf ihn ergeben drei Dokumente über Kreditverträge aus Freiburg von 1622 und 1623 (Universitätsarchiv Freiburg, Bestand A 104 Urkunden der Stiftungsverwaltung, S. 110, Nr. 504-506).

Andere Quellen über ihn haben leider nicht überdauert. Dies liegt sicher auch an den zwei Rottenburger Stadtbränden von 1644 und 1735, in denen neben großen Teilen der Altstadt viel Archivgut in Flammen aufging.

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Für die AG „Poltringer Ortsgeschichte“, Boris Dieter

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Poltringer Tapetenstreit“

Im Jahr 1847 kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kaufmann Gustav F. Baur und dem Sattlermeister Schwarzwälder vor dem Tübinger Stadtschultheisenamt. Dieser hatte von Baur fünf Jahre zuvor Tapeten im Wert von ca. 16 Gulden (heute ca. 270 EUR) bezogen und gab an diese für das Schloss des damaligen Poltringer Ortsherrn Freiherr von Ulm zu benötigen. Eine Zahlung an Baur erfolgte dann aber nicht und der Freiherr wie sein Werkmeister bestätigten beide, dass sie diese Tapeten nicht bekommen bzw. bestellt hätten.

Aus den vorliegenden Akten ergibt sich zudem, dass Baur dem Schwarzwälder zudem vorwarf diese Tapeten damals für sein eigenes Haus verwendet zu haben. Dies beweise, dass die jetzige Hausbesitzerin sich mit einem Probestück der Tapete an ihn gewandt hätte, da sie weitere Stücke davon erwerben wolle. Besonders ist daher die unten abgebildete Anlage der Akte dazu, ein Tapetenstück mit dem damals bestellten Dekor. Ein Urteilsspruch wurde in den bisherigen Unterlagen nicht erwähnt, vielleicht ist ein Vergleich geschlossen worden. Jedenfalls gab es ein erfolgreiches Vollstreckungsverfahren und Herr Baur kam zu seinem Geld inklusive Zinsen.

Anlage des Gerichtsprotokolls: Tapetenmuster der Tapetenfabrik Haußmann in Blaubeuren mit Nachricht und Versandsiegel von 1847

Auf dem abgebildeten Tapetenstück, das der Gerichtsakte als Beilage anlag, bestätigt der Tapetenfabrikant die Herkunft und den Verkauf der Tapete (Übertragung Joachim Renschler, Ellwangen):

„Das von K. G. Baur in Tübingen mir vorgelegte Tapeten-Muster, welches er laut Rechnungs-Auszug im September 1842 von mir bezogen hat, wurde in meiner Tapetenfabrik mit Nr. 173. zum Satin Reseda* bezeichnet, was ich andurch mit meiner Unterschrift und Geschäftssiegel bezeuge

Blaubeuren 31/8 1847 Fr. Haußmann“

*Resedagrün ist ein heller bräunlich-grüner Farbton (hier des Tapetenstoffes Satin bzw. Atlas), der aus der Resedapflanze gewonnen wird (auch „Wau“, „Färberreseda“, „Streichkraut“, „Gilbkraut“), nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich die Farbe als Grundanstrich für Maschinen und sonstige technische Anlagen etablieren (RAL 6011)

Quelle: ein Faszikel in den Stadtschultheißenamtsprotokollen 1847/1848 (A 70 Bü 1597), Stadtarchiv Tübingen

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Für die AG „Poltringer Ortsgeschichte“, Boris Dieter

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Dr. Dr. August Hagen – Pfarrer, Kirchenrechtler, Generalvikar und `Aufrührer´“

Bild von August Hagen aus Personalakte des Diözesanarchives Rottenburg, ca. Ende der 1940er Jahre

Der als Sohn eines Bauern und Webers 1889 in Spaichingen geborene und 1963 dort gestorbene Dr. sc. pol. Dr. theol. August Hagen, der 1928-1936 Pfarrer in Poltringen war, galt in NS-Kreisen als Aufrührer, der es der Partei schwer machte im Ort Fuß zu fassen. Dies zeigte sich auch in den Wahlergebnissen, die für die NSDAP in Poltringen im regionalen Vergleich immer unterdurchschnittlich waren.

Nach Schule in Spaichingen und Rottenburg und Studium in Tübingen sowie Promotion in Staatswissenschaften und Theologie, wurde August Hagen neben seiner (ersten) Pfarrstelle in Poltringen 1930 Privatdozent an der Universität Tübingen und 1935 Professor des Kirchenrechts an der Universität Würzburg. 1947 kehrte er als Domkapitular bzw. später Generalvikar (Leiter der Diözesanverwaltung) in die Diözese Rottenburg zurück, nachdem er in kurzer Folge bei einem Bombenangriff zum Kriegsende sein komplettes Habe und schriftliche Dokumente verloren hatte (ggf. bei dem Großangriff auf Würzburg vom 16.03.1945, bei dem 90% der historischen Altstadt zerstört wurden und 4-5000 Menschen starben) und kurz später seine Schwester starb, die ihm bisher den Haushalt führte. Aus Zuneigung schenkte ihm darauf, aufgrund des Verlustes seiner materiellen Besitztümer, ein Bürger aus Poltringen sogar seinen schwarzen Hochzeitsanzug, da August Hagen nur noch die Kleider auf dem Leib besaß.

August Hagen hatte fünf Geschwister, die alle unverheiratet blieben und von denen zwei in einen Orden eintraten. Er selbst war in Poltringen ein hingebungsvoller und überaus aktiver Ortspfarrer, der sich sehr um die Erhaltung kirchlicher Gebäude trotz geringer finanzieller Mittel kümmerte. Er schuf z.B. einen Spielplatz für den Kindergarten, hielt Vorträge, organisierte, dass die Umgebung der Klemens-Kirche bepflanzt sowie wieder ansehlich gestaltet wurde und ließ Kochkurse abhalten. Nicht zu seinen Talenten gehörte, neben dem Gesang wie der damalige Kirchenchor feststellte, allerdings wohl das Autofahren, das er in seiner Poltringer Zeit erlernte. Denn man erzählte sich augenzwinkernd, dass sein Auto beim Anfahren oft eigentümliche Sprünge ausführte und eine Kuh in einem Nachbardorf von ihm ihr Geschirr abgefahren bekam. Auch eine glimpflich verlaufene Karambolage in Ehingen ist verbürgt.

Er machte schon früh öffentlich und in der Seelsorge aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber der kirchenfeindlichen NS-Ideologie keinen Hehl und predigte auch in diesem Sinne. Dies führte dann Ende 1933 zu einem Besuch der SS und einem Streitgespräch bezüglich der Abonnierung des gleichgeschalteten “Neuen Tübinger Tagblattes”. Da er diese ablehnte, wurde er als “verdächtig” notiert und bei der Politischen Polizei (später Gestapo) angezeigt. Man vermutete ihn dann schon „auf dem Heuberg“ (das früheste Konzentrations-/“Schutz“haftlager im Raum Württemberg/Baden von März bis Dezember 1933) und glaubte, dass er nun auf der „Liste“ der neuen Machthaber sei, da hunderte deutsche, meist kath. Pfarrer, in Lagern verschwanden. Die darauffolgende Einbestellung beim Landrat und dem Kreisleiter der Partei konnte er aber dann argumentativ für sich entscheiden und ging einige Monate später nach Würzburg um dort seine neue Stelle anzutreten.

Für seine Verdienste erhielt er vom Papst 1952 den Ehrentitel “Apostolischen Protonotar” und 1959 das Bundesverdienstkreuz.

Weitere Informationen zu seiner Person finden sich in seiner Personalakte im Diözesanarchiv (Akte G 1.7.1. Nr. 2663), im kath. „Sonntagsblatt“ Nr. 9, Seite 8-10 vom 03.03.1963 und unter: http://www.se-am-dreifaltigkeitsberg.de/spaichingen/geschichte/generalvikar-august-hagen/

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Für die AG „Poltringer Ortsgeschichte“, Boris Dieter

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Poltringer Volkslieder“

Im württembergischen Volksliedarchiv finden sich zwei Lieder, die herkunftsmäßig Poltringen zugeschrieben werden: „Der wundergroße Mann“ und „Heirathe mich“. Sie stammen beide aus der Volksliedsammlung des Tübinger Professors Ernst Heinrich Meier mit dem Titel „Schwäbische Volkslieder mit ausgewählten Melodien“ von 1855.

Das Volksliedarchiv selbst wurde zwischen 1880 und 1940 von der Landesstelle für Volkskunde und dem Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg zusammengestellt. Es umfasst über 22.000 Liedbelege in Form loser maschinengeschriebener Zettel mit Liedtexten sowie Noten und Erläuterungen zu Teilen des Bestands. Diese Belege dokumentieren Volkslieder, Kinderreime und -verse sowie anderes Liedgut aus Württemberg.

Der wundergroße Mann

Es gaht a Ma de Berg hinauf
Wundergroß;

Da sah er auch drei Hasen

In jenem Thale grasen.

Wunder, Wunder über Wunder

Wie die Hasen grasen kunnten,

Das wundert mich.

Es gaht a Ma de Berg hinauf
Wundergroß;

Da sah er auch drei Krähen

In jenem Thale mähen.

Wunder, Wunder über Wunder

Wie die Krähen mähen kunnten,

Das wundert mich.

Es gaht a Ma de Berg hinauf
Wundergroß;

Da sah er auch drei Schnecken

In einer Mulde kneten.

Wunder, Wunder über Wunder

Wie die Schnecken kneten kunnten,

Das wundert mich.

Heirathe mich

Ich hab a Stub
Und darin ist kein Of´

Und wenn I `nein schau

So friertst mi im Kopf.

/ Heirathest Du mich, :/

Nichts als Gutleben

Sollst haben bei mir.

Ich hab en Kasten
Darin ist kein Kleid

Und wenn I `nein schau

So ists Jammer und Leid.

/ Heirathest Du mich, :/

Nichts als Gutleben

Sollst haben bei mir.

Ich hab a Tischlad
Und darin ist kein Brod

Und wenn I `nein schau

So ists Jammer und Noth.

/ Heirathest Du mich, :/

Nichts als Gutleben

Sollst haben bei mir.

Die Melodien dazu sind leider nicht bekannt.

Quelle: Landesmuseum Württemberg, Sammlung Online

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Poltringer Bürgermeistermörder?“

Im Jahr 1657 kam es zu einem Tötungsdelikt durch einen Poltringer, der aufgrund der besonderen Tatsituation nicht nur Gerichte, sondern auch Gutachter beschäftigte. Was war geschehen?

Der Poltringer Hans Rothfelder war an einem Markttag in (Unter-) Jesingen und mischte sich in eine Schlägerei zwischen Hans Arnold, einem Weber, und Jacob Mesinger, einem Küfer, ein. Warum er das tat, war (auch damals schon) nicht ermittelbar. Um Frieden zu stiften kam der Jesinger Bürgermeister Hans Rebstock dazu und versuchte die Streitenden, es waren weitere Männer beteiligt und auch Waffen wie Degen und Messer im Spiel, zu trennen. In der darauffolgenden Auseinandersetzung tötete Rothfelder dann den Bürgermeister, mit dem er vorher keinen Streit oder Ähnliches hatte, mit einem Degenschlag auf den Kopf.

Im Prozess argumentierte sein Verteidiger mit Notwehr, da Rothfelder von Mesinger, der ein Messer führte, leicht an der Hand verletzt und selbst angegriffen sowie vom Bürgermeister mit einem Stock geschlagen wurde. Auch ist überliefert, dass der Freiherr von Wolkenstein, der damalige Poltringer Ortsherr, sich schriftlich für den noch jungen Rothfelder verwendete, der bisher ein unbescholtenes Leben geführt hatte.

Es gibt heute nur noch die beiden Gutachten („Consilium“), die das Gericht zu diesem Fall einholte. Das erste ist von zwei Tübinger Rechtsanwälten, die nicht zur Universität gehörten. Diese plädierten für eine Hinrichtung des Rothfelders wegen Tötung eines Dritten und Notwehrexzesses. Das zweite schrieb dann ein Tübinger Professor. Er sprach sich für eine mildere Strafe aus und schlug 5 Jahre Militärdienst vor. Dass es zwei Gutachten gab, könnte auch daran gelegen haben, dass Poltringen und Jesingen in zwei unterschiedlichen Herrschaftsgebieten und Konfessionsbereichen, evang. Württemberg und kath. Hohenberg-Habsburg, lagen und damit auch zu unterschiedlichen Rechtssphären. Damit hatte ja ein andersgläubiger Ausländer einen württembergischen Amtsträger getötet, was sicher auch zu politischen Spannungen führte. Wie der Prozess ausging, ist leider nicht überliefert.

Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 209 Bü 1917 bzw. Buch „Making Manslaughter: Process, Punishment and Restitution in Württemberg and Zurich, 1376-1700“ von Susanne Pohl-Zucker von 2017, Seiten 154-159

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Kaiserpetition 1848“

Für die fast ausschließlich katholische Gemeinde Poltringen (1855 gab es 643 kath. und 7 evang. Einwohner) stellten am 16.01.1849 über den Abgeordneten Dr. Johannes Baptista Fallati, einem Tübinger Professor, 32 unterzeichnende Bürger mit anderen Gemeinden zusammen die gleichlautende Petition (Nr. 6440) an die verfassungsgebende deutsche Reichsversammlung in Frankfurt am Main auf Übertragung der Reichsoberhauptswürde an den (kath.) Kaiser von Österreich.

Petitionsdokument der Gemeinde Poltringen von 1849 (Aktenzeichen DB 51 „Deutsche Verfassungsgebende Reichsversammlung“, Nr. 6440, des Bundesarchives Berlin

Diese Petitionen versuchten Einfluss zu nehmen auf die Diskussionen in diesem ersten Nationalparlament, in welcher Art die Ausgestaltung einer Verfassung eines angestrebten geeinten Deutschen Reiches hinsichtlich des Staatsoberhauptes sein sollte. Hier gab es vom gewählten Präsidenten, einem republikanischen oder dynastischen Direktorium, einem vom Volk gewählten Kaiser auf Lebenszeit bis zu einer alternierenden oder erblichen Kaiserwürde viele Varianten.

Als früher zur vorderösterreichischen Grafschaft Hohenberg gehörende kath. Gemeinde gab es hier natürlich eine eindeutige Präferenz für einen kath.-österreichischen Monarchen vor einem evang.-preußischen oder anderen republikanischen Varianten.

Auch eine weitere Poltringer Petition (Nr. 2522) vom 20.08.1848 zum Verhältnis von Kirche und Schule zum Staat ist bekannt. In Poltringen war man also lebhaft an den politischen Geschehnissen dieser Jahre interessiert, die mit der deutschen Märzrevolution 1848 mit dem Ziel einer Einigung Deutschlands begannen und zu dem Frankfurter Nationalparlament führten. Nach der Ablehnung der Kaiserwürde durch den preußischen König scheiterte die erste Verfassung eines geeinten Deutschen Reiches und das Parlament wurde aufgelöst. Es kam zu einer Unterdrückung der nationalen Bewegung, Zensur, politischer Verfolgung und demokratische Rechte wurden in dieser „Reaktionszeit“ zurückgenommen.

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Funde aus der Poltringer Ortsgeschichte – „Politische Schlägerei“

Im Jahr 1932 kam es am 17.07. im Poltringer Gasthof „Bären“ (bis ca. 1970, Poltringer Hauptstraße 22) zu einer Massenschlägerei zwischen SPD und NSDAP Anhängern. Dabei wurden einige SPD Teilnehmer und insbesondere der Redner durch Schläge mit Schulterriemen der SA Uniformen verletzt. Das Vorkommnis ist im Zusammenhang zu sehen mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppierungen im Vorfeld der am 31.07.1932 stattfindenden Reichstagswahl. Am selben Tag wie die Poltringer Schlägerei ereignete sich z.B. auch der „Altonaer Blutsonntag“, bei dem bei einer Schießerei zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und der Polizei in Hamburg 18 Menschen ums Leben kamen und 285 verletzt wurden. Nach dieser Reichstagswahl stellte die NSDAP erstmals die stärkste Fraktion.

Die NSDAP Anhänger störten in großer Überzahl eine in der Gaststätte geplante SPD Versammlung wohl aus Rache für eine von der SPD gestörte NSDAP Versammlung in Pfrondorf. Sie hatten vorher einen Kameradschaftsabend in Reusten und kamen von dort zu etwa dreißig Personen mit einem Lastwagen nach Poltringen. Es kam dann aber nicht zu der, von der Anklage geforderten Verurteilung wegen Landfriedensbruches, sondern zu Verurteilungen wegen Körperverletzung und Beleidigung. Insgesamt wurden fünf der acht angeklagten NSDAP Mitglieder aus dem Umland zu Strafen zwischen fünf Monaten Gefängnis und 50 Mark Geldstrafe verurteilt. Dass Poltringer beteiligt waren, wird nicht berichtet (Quelle: „Tübinger Chronik“ S. 1+2 vom 23.11.1932 Artikel „Die politischen Schlägereien von Poltringen vor Gericht“).

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